Die 3 Geistesgifte aus psychologischer Sicht

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Auch in unserer technologisch fortgeschrittenen Welt kann uns antike jüdische Weisheit helfen, ein glücklicheres Leben zu führen. In der Bibel sind tiefe Wahrheiten in einfacher und mythologischer Sprache verborgen. Ihr Sinn erschließt sich aber nicht nur Gläubigen oder Theologen, sondern kann auch psychologisch gedeutet werden. Dr. Raphael Bonelli hat genau das für die zehn Gebote getan. In diesem Beitrag beleuchtet er die Gefahren der drei Geistesgifte: Diebstahl, Lüge und falsches Begehren.  

Alles nur geklaut?

Im Jahr 1993 sang die Leipziger Musikgruppe Die Prinzen das Lied „Alles nur geklaut“. Genau um dieses Thema geht es im siebten der zehn Gebote, das da lautet: „Du sollst nicht stehlen.“ Dieses Gebot findet sich in allen Kulturen wieder, denn anders funktioniert eine Gesellschaft auch nicht. Es schützt den Menschen vor dem Recht des Stärkeren, das zu einer fundamental ungerechten Gesellschaft führt.

Psychologisch relevant ist dieses Gebot, wo es um Neid gehen. Neid bedeutet, sich mental ständig mit dem Eigentum des anderen zu beschäftigen. Es ist die dauernde Frage, ob der Nachbar die schönere Wiese, das größere Haus, das schickere Auto, usw. hat. Der ständige Vergleich mit anderen macht uns aber krank. Genügsamkeit und Dankbarkeit sind der beste psychische Schutz gegen Neid. Die andere Gefahr ist, wenn man zu viel besitzt und sich ständig am eigenen Eigentum klammert. Wenn Menschen zu viel Geld und zu wenige sinnhafte Ziele haben, kann das den Charakter verzerren. Alles dreht sich dann nur noch um das Geld und sie werden unnahbar, respektlos und knausrig.

Lügen ist psychisches Gift

Das achte Gebot lautet: „Du sollst nicht lügen.“ Das Lügen ist psychologisch betrachtet ein unheimlich starkes Gift.

Lügen schadet langfristig den Lügner am meisten. Psychiater haben normalerweise keinen Lügendetektor dabei. Wer seinen Psychiater anlügt, ist aber selbst schuld. Denn dann hilft ihm die Therapie nicht. Wer lügt, belügt sich am Ende selbst.

Lügen schadet natürlich auch die Mitmenschen. Hier gibt es einen ganzen Katalog an Vergehen gegen die Wahrhaftigkeit.

Erstens wäre da das vermessene Urteil oder das argwöhnische Denken über einen anderen. Zum Beispiel die Behauptung, dass jemand ein Rassist oder Frauenfeind wäre, ohne dass es hinlängliche Beweise dafür gäbe. Die Lüge über einen anderen Menschen kann seinen Ruf massiv beschädigen.

Auf der zweiten Stufe steht die üble Nachrede. Das ist der Fall, wenn jemand gegenüber anderen behauptet, dass ein bestimmter Mitmensch eine üble Gesinnung hätte oder sich unehrenhaft verhalten würde. Zum Beispiel, dass er eine Affäre habe oder gewalttätig sei, obwohl das nicht den Fakten entspricht.

Die dritte Form der Lüge ist die Verleumdung. Dieses Verhalten zielt darauf ab, den guten Ruf einer Person durch wahrheitswidrige Aussagen bewusst zu schaden. Das sieht man zum Beispiel tagtäglich in den Hass-Postings auf den Foren von diversen Online-Zeitungen. Oder auch auf Wikipedia, wo im Zuge von „Dirty Campaigning“ völlig haltlose Unterstellungen verbreitet werden, um einem Menschen zu schaden.

Hier schlittert unsere Gesellschaft leider in zunehmendes Misstrauen. Was Verleumdung so leicht macht, ist die Anonymität im Internet. Jeder kann unter falschem Namen etwas über andere behaupten, was nur selten rechtliche Konsequenzen hat.

Erst das gegenseitige Vertrauen schafft die Voraussetzung für ein gutes Zusammenleben. Da können wir heute vieles vom Mittelalter lernen. Vom Denker Thomas von Aquin ist folgendes Zitat überliefert: „Die Menschen aber könnten nicht zusammenleben, wenn sie nicht gegenseitig einander glaubten; nämlich dass der eine dem anderen die Wahrheit offenbart.“

Zur Aufrichtigkeit gehören also sowohl die Wahrhaftigkeit als auch die angemessene Verschwiegenheit. Aufrichtig zu sein, bedeutet nämlich nicht, intimste Geheimnisse, die niemanden etwas angehen, herumzuposaunen.

Falsches Begehren

Das neunte Gebot lautet: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau.“ Das bedeutet natürlich auch umgekehrt, dass frau nicht den Mann der Nachbarin begehren solle.

Das neunte Gebot besagt, dass wir nicht einmal in Gedanken die Ehe brechen sollten. Hier wird das Bauchgefühl angesprochen, denn das Begehren kommt ja psychologisch gesehen vom Bauch her. Einen anderen Menschen sexuell zu begehren, bedeutet, seine Bindung an seinen Partner innerlich infrage zu stellen.

Sigmund Freud bezeichnete das Bauchgefühl als das „Es“. Dieses besteht aus Lustmaximierung und Unlustvermeidung. Das Streben nach Lust wäre zum Beispiel das Liebäugeln mit der hübschen Nachbarin. Das Umgehen der Unlust wäre die Weigerung, pünktlich aufzustehen, oder aus Bequemlichkeit das schmutzige Geschirr herumstehen zu lassen. Unlust wird auch dann vermieden, wenn man lästigen Konflikten aus dem Weg geht – auch wenn diese eine nachhaltige Lösung bräuchten. Hierzu gehören auch innere Konflikte mit dem eigenen Gewissen.

Das Begehrensverbot besagt nicht, dass man keine Lust haben oder sich nicht verlieben darf. Bauchgefühle sind einfach da. Der entscheidende Punkt ist aber, welche Haltung man zu den eigenen Gefühlen einnimmt und mit welchem Verhalten man darauf reagiert. Um bei der attraktiven Nachbarin zu bleiben: Ich kann meine Lustgefühle steuern, denn es liegt schließlich an mir, ob ich Nähe zur Dame suche oder auf Abstand bleibe. Wenn man eine bestimmte Person attraktiv findet, kann man es einfach dabei belassen, ohne sich selbst seinen Gefühlen völlig zu überlassen.

In der Regel spüren Frauen, dass es schädlich ist – sowohl für sie selbst als auch für andere – sich auf eine Affäre mit einem gebundenen Mann einzulassen. Komplex werden dann die typischen Fälle in der psychotherapeutischen Beratung, wo sich eine Frau in einen bereits vergebenen Mann verliebt hat. Oft erklärt si é dann, dass sie sich nie auf ihn eingelassen hätte, wenn sie von seiner Ehe gewusst hätte. Der Mann habe seine Bindung verheimlicht und nun stehe man vor einem emotionalen Scherbenhaufen. Wenn die Sache dann auffliegt, steht die Dame dann plötzlich da als Ehebrecherin und offizielle Geliebte.

Neid führt in die Irre

Das zehnte und letzte Gebot lautet: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut.“

Interessant ist, dass die sogenannten Begehrensverbote in Bezug auf Partner und Besitz (Gebote 9 und 10) dem Ehebruchs- und Diebstahlverbot (Gebote 6 und 7) entsprechen. Die Begehrensverbote zielen aber rein auf die Absicht eines Menschen ab, unabhängig von seinen Taten. Sie schützen den Menschen davor, auch nur in Gedanken zu sündigen und missgünstig auf das Glück anderer zu blicken.

Eine spannende Beobachtung beschrieb der deutsche Psychologe und Autor Heiko Ernst, langjähriger Chefredakteur des Magazins Psychologie Heute. Ernst schrieb ein Buch mit dem Titel Die sieben Todsünden. Darin erläutert er, dass der Neid die einzige Sünde sei, die keinen Spaß macht. Also Wollust, Völlerei, Trägheit, usw., das ist alles zumindest eine Zeit lang lustig. Aber Neid ist es zu keinem Zeitpunkt. Andere zu beneiden ist also komplett sinnlos, denn man schadet sich damit ganz ohne Lustgewinnung.

Der neidvolle Vergleich zwischen anderen und einem selbst ist aber das typische Thema von Narzissten und Perfektionisten gleichermaßen. Im Fall des Narzissmus ist Neid ein wesentliches Diagnosekriterium: Der Narzisst meint, andere würden ihn ständig beneiden, weil er so gut sei. Andererseits beneidet er seinerseits andere, denn schließlich habe er sich mehr verdient als jeder andere. Perfektionisten hingegen meinen, nicht genug Wertschätzung zu bekommen. Sie befürchten, dass andere mehr Fähigkeiten hätten und daher mehr Aufmerksamkeit bekommen würden.

Der Weg des Gerechten

Im Refrain von „Alles nur geklaut“ singen die Prinzen, „Entschuldigung, das hab‘ ich mir erlaubt.“ In der letzten Strophe drehen sie den Spieß um, bezichtigen eine andere Person des Diebstahls und fragen: „Wer hat dir das erlaubt?“ Die Ironie dabei ist offensichtlich.

Stehlen führt zu gesellschaftlichem Chaos. Die alte jüdische Weisheit der zehn Gebote hat zwar auch das soziale Gefüge im Blick, beginnt aber beim inneren Frieden des Einzelmenschen. Die zehn Gebote geben Orientierung. Sie erinnern uns daran, welchen Gefühlen wir keinen Raum geben sollten. Das sind jene Bauchgefühle, die man nicht nähren sollte, weil sie einen sonst ins Unglück treiben.

Respekt vor der Wahrheit und dem Eigentum ist der Weg der Gerechtigkeit. Wer lügt und stiehlt, tut anderen Menschen Unrecht an. Wer aber aufrichtig und tugendhaft lebt, dem wird langfristig das Glück folgen.

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