Endlich frei! Leben ohne Fremdbestimmung

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Wie sich ein Mensch entwickelt, hängt von mehreren Faktoren ab. Hierzu gehören die Erbanlage, die frühkindliche Prägung und das soziale Umfeld. Jeder Mensch hat aber auch einen gewissen Spielraum, um sein eigenes Fühlen, Denken und Handeln zu gestalten. Wenn man bewusst und frei durchs Leben geht, tun sich erstaunliche Möglichkeiten auf. Erfahren Sie, wie man innerlich frei wird.

Drei Einflüsse auf das Verhalten

Der Neurowissenschaftler und Psychiater Raphael Bonelli nennt drei Faktoren, die das menschliche Verhalten beeinflussen: Temperament, Persönlichkeit und Charakter. Das Temperament ist genetisch bedingt. Bereits vor der Entdeckung der DNA unterschied man in der antiken Viersäftelehre zwischen angeborenen Temperamenten. Diese sind Choleriker (die Feurigen), Sanguiniker (die Luftikusse), Phlegmatiker (die Gemütlichen) und Melancholiker (die Grübler). In der Alltagspsychologie greift man noch heute gerne auf diese vier Grundtypen zurück. In der akademischen Psychologie werden andere Modelle wie etwa das Fünf-Faktoren-Modell bevorzugt, um die unterschiedlichen Temperamente zu beschreiben. Der entscheidende Punkt ist, dass wir genetisch bestimmte Eigenschaften haben, die von der Wiege bis zur Bahre unser Verhalten maßgeblich lenken. Das Temperament lässt sich mit der Augenfarbe vergleichen. Es bleibt immer gleich.

Persönlichkeit bezeichnet die Prägung durch die Gesellschaft. Soziale Prägung geschieht zunächst durch die elterliche Erziehung. Dann gewinnt das breitere soziale Umfeld zunehmend an Einfluss. Hierzu gehören etwa Geschwister, Freunde, Kollegen und die Medien, die man regelmäßig konsumiert. Aus der sozialen Umgebung nehmen wir Sicht- und Verhaltensweisen an, die wir – häufig unbewusst – verinnerlichen. Die Persönlichkeit lässt sich mit der Muttersprache vergleichen. Wir erlernen sie in unserer Kindheit und können sie nur schwer wieder verlernen. Die Muttersprache lässt sich nicht einfach mit einer anderen Sprache ersetzen. Zwar können wir zusätzlich neue Sprachen lernen, aber nicht mehr auf dem Niveau der Muttersprache. Natürlich prägt die Muttersprache auch das eigene Denken, aber sie bestimmt uns nicht im selben Maß wie unsere Gene.

Der dritte und wichtigste Faktor ist der Charakter. Bereits Immanuel Kant definierte Charakter als das, was wir aus uns selbst machen. Der amerikanische Psychiater und Genetiker Robert Kloninger griff diese Idee wieder auf. Kloninger schlug vor, die uns mitgegebene Genetik und die Erziehung als Unterbau vorzustellen, auf dem wir unseren Charakter als Überbau entwickeln.

Charakterstärke ist keine Frage des Schicksals, sondern eine Sache des Trainings. Der amerikanische Psychologe Martin Seligman hat das Konzept der Tugenden aus der antiken Philosophie in die Psychologie integriert. Tugenden sind positive Eigenschaften, die man durch Einübung erwerben kann. Man kann es sich zum Beispiel zur Gewohnheit machen, pünktlich, ehrlich, zuverlässig und tapfer zu sein. Im Unterschied zu den naturgegebenen und sozialen Einflüssen ist die Arbeit am Charakter mit Anstrengung verbunden.

Mehr Freiheit durch Arbeit am Charakter

Wenn man drei oben genannten Faktoren in Zahlen darstellen möchte, ergibt sich folgendes Bild: Etwa 40% des menschlichen Verhaltens hängen vom Temperament ab und sind nicht wesentlich veränderbar. Weitere 40% gehen auf die Sozialisation eines Menschen zurück. Und ungefähr 20% unseres Handelns werden frei von uns bestimmt. Das ist also der Freiraum, den wir selbst gestalten können.

Erstaunlich ist, dass diese Zahlen nicht in Stein gemeißelt sind. Die Verhältnisse können sich beträchtlich ändern. Je mehr ein Mensch an seinem Charakter arbeitet, desto größer ist auch sein Spielraum, selbstbestimmt zu handeln. Somit kann der Einfluss des Charakters auf einen Anteil von 30% bis 40% anwachsen. Wenn man sich als sprichwörtliche „Couch-Potato“ einfach gehen und vom Fernsehprogramm hypnotisieren lässt, ist die persönliche Freiheit natürlich stark eingeschränkt. Doch jeder Mensch hat die Wahl zwischen einem schmalspurigen oder einem selbstbestimmten Leben.

Je mehr man an sich arbeitet, umso größer ist auch das Potenzial zur Veränderung. Die 20% an Freiheit, die mir anfänglich zur Verfügung stehen, können schrumpfen oder wachsen, je nachdem wie ich sie verwende. In Sigmund Freuds Modell der menschlichen Psyche übrigens kam die Freiheit zu kurz. Freud dachte im Wesentlichen nur über die genetische und die gesellschaftliche Prägung des Menschen nach. Heute wissen wir mehr.

Das Herz öffnen

Das Herz ist – aus psychologischer Sicht – der Sitz unserer Entscheidungen. Damit ist es auch das Zentrum unseres Charakters. Unsere Entscheidungen führen zu Verhalten. Verhaltensmuster machen unseren Charakter aus.

Um am Charakter zu arbeiten, muss man sein Herz öffnen und es stärken. Ein verschlossenes Herz kreist nur um sich selbst und führt zu einem hochmütigen Charakter. Ein schwaches Herz erkennt zwar, was das Richtige ist, aber ist zu bequem, um sich auch dafür zu entscheiden. Einem schwachen Herzen mangelt es an Disziplin. Es kann leicht von Gefühlen, Begierden und Ängsten überwältigt werden.

Ein offenes und starkes Herz, besitzt die Kraft, entsprechend den eigenen Werten und Erkenntnissen zu handeln. Das ist die Voraussetzung für einen guten Charakter.

Orientierung durch Werte

Charakterstärke beginnt also beim Herzen. Im Grunde stehen wir alle irgendwo zwischen schwachem und starkem Herz. Jeder Mensch, der sich persönlich weiterentwickelt, schwankt zwischen guten und schlechten Entscheidungen. Es gibt niemanden, der ständig alles richtig macht. Wer aber nicht an sich selbst arbeitet, läuft Gefahr, sein Herz verstocken zu lassen. Er ist dann nicht mehr offen dafür, sich selbst zu verbessern.

Um stark zu sein, braucht das Herz klare Werte. Es gilt noch immer als umstritten, das Thema Werte in ein psychologisches Modell hineinzunehmen. Denn Werte scheinen dem wissenschaftlichen Gebot der Neutralität und der Objektivität zu widersprechen. Viktor Frankl hat aber gezeigt, dass es anders gar nicht geht. Frankl beschreibt Werte als äußere Referenzpunkte, die unseren Entscheidungen eine Richtung vorgeben. Der Mensch braucht eine Orientierung und diese wird durch Werte vermittelt.

Freud stellte fest, dass der Mensch in einer Suppe der eigenen Befindlichkeiten schwimmt. Nur der Intellekt könne ihn retten. Werte sind aber weder Befindlichkeiten noch werden sie von uns erdacht. Sie werden viel mehr entdeckt, angenommen oder auch abgelehnt.

Hohe Werte sind auch außerhalb unseres persönlichen Fühlens und Denkens allgemein gültig. Zu diesen gehören das Wahre, Schöne und Gute. Wer nach diesen sogenannten Transzendentalien strebt, wird erfahren, dass sein Charakter gegenüber der erblichen und sozialen Prägung an Kraft zunimmt.

Wer sein Leben an klaren Werten orientiert, gewinnt letzten Endes mehr Freiheit. Er kann sich entfalten und zu dem Menschen werden, der er wirklich sein möchte.

Bildquellen
RPP / Canva.
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