Die Weisheit des Herzens ist eine Anleitung zum glücklichen Leben. Da darf das Thema Sexualität natürlich nicht zu kurz kommen. An sich ist Sex eine gute Sache. Aber guter Sex ist an Bedingungen geknüpft. Sexuelles Begehren ist zunächst ein Bauchgefühl. Nun sind wir Menschen aber keine Tiere. Beim Menschen ist Sex wesentlich mehr als eine saisonale Kopulation zum Zweck der Arterhaltung. Er ist eine Sprache der Liebe. Wo kann man diese Sprache erlernen?
Venus und Eros
Man kann zwischen drei Arten der Sexualität unterscheiden. Die Venus steht für sexuelle Befriedigung, hat aber mit Liebe relativ wenig zu tun bzw. kann sie leicht pervertieren. Die zweite Art der Sexualität ist der Eros. Das ist die Liebe des Bauches, also das Verliebtsein.
Der Bauch steht für die beiden Prinzipien der Unlustvermeidung und der Lustmaximierung. Die Lust reagiert auf affirmative Reize, z. B., wenn man eine Frau oder einen Mann besonders attraktiv, faszinierend oder „reizvoll“ findet, dann wird etwas in unserem Bauchgefühl getriggert. Diese irrationale Idealisierung eines anderen ist relativ fern vom Kopf. Der Trieb springt an und der Bauch sagt zum Herz: „Ja, die Person will ich haben!“ Dann kann das Herz entweder sofort eine impulsive Handlung setzen („Die Person muss ich nach Hause schleppen“) oder er tauscht sich zunächst mit dem Kopf aus und bespricht mit ihm, wie vernünftig und sinnvoll eine unmittelbare Reaktion überhaupt ist. Der Bauch ist die These, der Kopf die Antithese. Das Herz ist also gut beraten, wenn es zum Bauch noch einen zweiten Berater, nämlich den Kopf, heranzieht.

Mittels dieser drei Instanzen lässt sich bereits veranschaulichen, wie eine unbedachte sexuelle Handlung abläuft. Der Bauch hat die beiden Kriterien Lust und Unlust, das Herz unterscheidet zwischen Gut und Böse und der Kopf fragt nach dem Wahren, Logischen und Nützlichen. Der Eros bezeichnet eine Sexualität, die rein vom Bauch her motiviert ist. Er hat an sich also noch nicht viel Tiefgang oder Fundament und kann daher schwer nachhaltig bestehen. Eros kann zwar den Impuls zu einer kurzfristigen sexuellen Begegnung („One-Night-Stand“) geben, führt aber nur selten zu einer stabilen Beziehung. Eine erfüllende, schöne, gute und wahre Beziehung auf Dauer ist aber eine Herzenssehnsucht aller Menschen.
Nachhaltiger Sex gründet in Agape
Vom Kopf her begründete Sexualität ist für die meisten Menschen zu fad. Daher ist die einzig sinnvolle Alternative zu Venus und Eros eine Sexualität, die sich leidenschaftlich, dauerhaft und aus ganzem Herzen hingeben kann. Im Englischen spricht man von „commitment“. Sexualität des Herzens bedeutet, dass ich mich mit meinem Willen, meinen Werten, meinem Gewissen, meiner Tugend und meinem inneren Heiligtum meinem Partner hingebe. Sexualität ist also mehr als die Vereinigung von zwei Körpern mittels der Geschlechtsorgane. Anders als bei Tieren, findet hier eine Verbindung zweier Herzen statt. Tiere haben ein organisches Herz, aber sie haben weder ein inneres Heiligtum noch Werte oder ein Gewissen.
Menschen sind sexuelle Wesen. Unser Leib ist geschlechtlich geprägt. Wir sind ganz Mann oder ganz Frau. Dementsprechend ist einer verbindlichen Beziehung, sprich in einer Ehe, die Sexualität ein zentrales Element. Mann und Frau sind so gestaltet, dass sie sich in geschlechtlicher Form vereinigen und sich auf diese Weise in Liebe beschenken können. Hier schenkt man sich einander für immer, weil man zusammengehört. Die Sexualität des Herzens beruht auf Agape, der selbstlosen Liebe.
In einer dauerhaften Beziehung weiß man, dass auf den anderen Verlass ist. Man weiß, dass man am nächsten Morgen nebeneinander aufwacht. Idealerweise hat die gemeinsam gelebte Sexualität eine nachhaltige Konsequenz in Form von Kindern, die man auch verantwortlich und gemeinsam großzieht. In einer solchen Beziehung ist man füreinander da, auch wenn der andere krank, unansehnlich oder einfach nur älter wird.
Verletzlichkeit und Würde
Sexualität hat eine unheimliche tiefe Dimension. Aber sie ist auch so persönlich und intim, dass ihr Missbrauch umso verletzender sein kann. Sexueller Missbrauch oder im schlimmsten Fall Vergewaltigung führen zu einer schwerwiegenden Entwürdigung des Opfers. Eine 45-jährige Patientin wurde im Alter von 14 oder 15 von einem widerlichen Sittenstrolch in einem Hauseingang begrabscht. Diese erniedrigende Verletzung ihrer Intimsphäre hat sie nicht verarbeitet und trägt sie noch heute mit sich herum.
Gerade im Bereich der Sexualität ist gegenseitiger Respekt maßgeblich, weil sie so eng mit der Würde des Menschen verbunden ist. Die Würde des anderen zu ehren und ihn nicht auf ein Mittel zum Zweck zu reduzieren („zu vernaschen“) ist eine Sache des Herzens.
Erfüllender und sinnvoller Sex bedeutet nicht gegenseitige Selbstbefriedigung, sondern ist ein Ausdruck der Liebe. Selbstbefriedigung bleibt beim Ego hängen. Sie blendet die Persönlichkeit des anderen aus. Als Sprache der Liebe hingegen bereichert Sexualität die besondere Qualität einer intimen und dauerhaften Beziehung zwischen zwei Herzen. So kann Sexualität ein ganz besonderes Geschenk sein, das mit der Reife einer Beziehung immer schöner wird.