Was steckt hinter der medialen Esoterik-Keule?

  • Redaktion
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Schwurbler, Rechtsextreme und Esoteriker. Während der Covid-Krise gab es eine Reihe von Etiketten, um politisch Andersdenkende zu brandmarken. Nüchtern betrachtet kamen die Maßnahmen-Kritiker aus allen gesellschaftlichen Schichten. Tausende von Eltern, Lehrern, Künstlern, Friseuren, Handwerkern, Ärzten, Krankenpflegern und Studenten gingen auf die Straßen Europas, um zu protestieren. Von ihrer weltanschaulichen Orientierung her waren sie stark durchmischt. Umso zynischer wirken daher die Bezeichnungen mit denen Systemmedien die „Spaziergänger“ denunzierten. Ein Klassiker darunter war der Begriff „Esoteriker“. Aber wer sind die Esoteriker genau? Und was macht sie so gefährlich?

Wer sind sie eigentlich, diese Esoteriker?

Was gestern die Hexen, Ketzer und Sektierer waren, sind heute die Esoteriker. Umgangssprachlich dient das Wort häufig zur Abgrenzung von Personen, die als unseriös wahrgenommenen werden. Esoteriker gelten dann als Anhänger eines unaufgeklärten, pseudowissenschaftlichen, ja gefährlichen Weltbildes. Und wer einmal als unvernünftiger Sonderling abgestempelt wurde, braucht gar nicht mitzureden. Ein konstruktiver Dialog mit solchen Menschen lässt sich konsequent verweigern.

Esoteriker sind offenbar Menschen, die an Esoterik glauben oder sie praktizieren. Aber was ist „Esoterik“ überhaupt? Kulturwissenschaftlich gesehen ist Esoterik ein weiter Sammelbegriff für völlig unterschiedliche historische Strömungen. Hierzu zählen etwa Magie, Astrologie, Alchemie oder die Kommunikation mit Geistern. Diese Traditionen standen zwar immer wieder im Konflikt mit gesellschaftlich etablierten oder aufsteigenden Wissenskulturen, maßgeblich der christlichen Theologie und den Naturwissenschaften. Dennoch ist eine scharfe Trennung zwischen Esoterik und Rationalität weder möglich noch sinnvoll.

So interessierte sich zum Beispiel der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung für die Alchemie und gab ihr eine psychologische Deutung. Der frühneuzeitliche Arzt Paracelsus gilt heute zwar als Esoteriker, legte jedoch wichtige Grundlagen für die moderne Ernährung, chemische Medizin und Psychosomatik. Der britische Physiker Oliver Lodge, ein Pionier der drahtlosen Kommunikation, glaubte fest an die Möglichkeit der medialen Verständigung mit seinem im Krieg gefallenen Sohn. Die Grenze zwischen Wissenschaftler und Esoteriker kann also durchaus fließend sein.

„Esoterik“ ist ein dehnbarer Begriff mit vielen Bedeutungen. Es handelt sich auch nicht nur um einen Kampfbegriff für Journalisten oder einen Sammelbegriff für Historiker. Esoterik dient mittlerweile auch als positives Marketing-Label im Verkauf, zum Beispiel bei Amazon. Der Online-Versandhändler zählt die Sparte „Esoterik“ zu den Sachbüchern. „Esoteriker“ bezeichnet in diesem Fall weder radikale Querköpfe noch obskure Geheimgesellschaften, sondern ganz normale Amazon-Kunden mit Interesse an Tarot-Karten, Yoga und positivem Denken.

Was also konkret mit „Esoteriker“ gemeint sein soll, kann gar nicht verallgemeinert werden. Die Bedeutung des Wortes hängt vom jeweiligen Kontext ab.

Esoterik“ = unvernünftig = böse

Medien lieben Kontroversen, Polemik und Sündenböcke. Eine bequeme Methode der sozialen Ausgrenzung ist das sogenannte Framing (deutsch: „Rahmung“). Das bedeutet, dass Ereignisse oder Personen nur aus einer ausgewählten Perspektive dargestellt werden. Auf diese Weise wird gezielt eine bestimmte – oftmals einseitige – Erzählung verbreitet.

Im Fall der Berichterstattung über Maßnahmen-Kritiker ging es darum, diese in ein denkbar schlechtes Licht zu rücken. Indem man Impfskeptiker mit „Esoterikern“ gleichsetzte, wurden sie sofort moralisch bewertet. Sie wurden zum Sinnbild für den Abschaum der Gesellschaft: Menschen, die irrationalen, unaufgeklärten und anti-wissenschaftlichen Vorstellungen anhängen. Kurz: Kritiker der Covid-Maßnahmen sind hoffnungslos verloren und daher zu verachten.  

Aus Sicht der herrschenden Mächte war der Widerstand gegen ihre Politik aber nicht nur unseriös, sondern auch gefährlich. Dementsprechend nennen Leitmedien die „Esoteriker“ in einem Atemzug mit politischen Abweichlern. Doch haben Esoteriker wirklich ein grundsätzliches Naheverhältnis zum Rechtsextremismus, wie so oft behauptet wird?

Tatsächlich handelt es sich hierbei nicht um eine sachliche Aussage, sondern um eine ideologische Meinung. Den Nährboden für diese Idee lieferten die marxistischen Philosophen Max Horkheimer, Theodor Adorno und Georg Lukács Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie entwarfen ein Geschichtsmodell, das von zwei entgegengesetzten Entwicklungen ausgeht. Auf der einen Seite steht der gesellschaftliche Fortschritt, angetrieben von Vernunft und Wissenschaft. Dieser führe letzten Endes zur marxistischen Utopie. Auf der anderen Seite stehen die Kräfte des Rückschritts. Hierzu zählen alle Formen der Unvernunft – einschließlich Magie, Aberglaube und Esoterik. Sie sind nicht nur unlogisch, sondern auch moralisch verwerflich. In Verbindung mit politischer Macht, so die Theoretiker, würde esoterisches Denken unweigerlich im Nationalsozialismus und Faschismus enden.

Aber Vorsicht! Diese marxistische Theorie ist keine Beschreibung der Geschichte, sondern politische Propaganda. Sie wurde dennoch zu einem äußerst einflussreichen Mythos. Die Vorstellung eines „Nazi-Okkultismus“ wurde 1960 mit dem französischen Bestseller Aufbruch ins dritte Jahrtausend (Originaltitel: Le Matin des magiciens) zusätzlich bekräftigt. Diese fiktive Geschichte lieferte den Stoff für eine ganze Reihe von Verschwörungstheorien, die in Romanen, Comics, Filmen und Videospielen aufgegriffen und weitergesponnen wurden. Heute ist das Klischee so weit verbreitet, dass Esoterik fast gleichbedeutend mit rechtsextremer Gesinnung ist.

Gefährliche Mythen

Esoterische Bewegungen sind seit den 1990er Jahren Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Forschung. Es ist wichtig hervorzuheben, dass im Bereich der Esoterik das gesamte politische Spektrum vertreten ist, von rechts-nationalistisch bis hin zu links-progressiv. Pauschalurteile über die angebliche Gefährlichkeit von Esoterik sind unredlich, da es hierfür keinerlei Belege gibt.

Konkrete rechte esoterische Gruppen wie Traditionalisten, rechte Neo-Heiden oder antisemitische Verschwörungstheoretiker hingegen zeigen in der Tat problematische Tendenzen auf. Laut dem niederländischen Esoterikforscher Wouter Hanegraaff stellen diese Gruppen jedoch keine Ursache für den neuen Rechtspopulismus dar. Hanegraaff sieht hierin vielmehr ein Symptom der aktuellen Krise der liberalen Demokratien im Westen.  

Westliche Staaten sind leider nicht mehr durch Freiheit, Gleichheit und Wohlstand gekennzeichnet, sondern zunehmend vom Gegenteil: einer zunehmend autoritären Politik, Zensur, überbordende Bürokratisierung und Überwachung sowie dem wirtschaftlichen Abstieg der Mittelklasse. Angesichts dieser Entwicklung treten auch esoterische und andere spirituelle Gruppen auf, die sich als weltanschauliche Alternativen inszenieren. Diese bilden jedoch nur einen Bruchteil eines viel breiteren gesellschaftlichen Widerstands. Der Protest richtet sich gegen die staatliche Bevormundung unter dem fadenscheinigen Vorwand von Wissenschaft, Gesundheit und Sicherheit.

Klischees und Mythen sind bequem und erhöhen kurzfristig die Leserquote. Wer aber eine allgemeine Gefährdung der Demokratie durch „die Esoteriker“ behauptet, fördert nicht das soziale Klima, sondern verbreitet eine schrille Verschwörungstheorie. Ihr Zweck ist es, zu polarisieren, zu verunglimpfen und zu hetzen. Medien, die systematisch manipulieren und Andersdenkende denunzieren, beweisen, wie sie wirklich zur Demokratie stehen.   

Bildquellen
Anastasia Shuraeva, https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-sitzung-dunkelkammer-sitzen-6014317/<br />
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