Grandios oder verletzlich? Die zwei Grundarten des Narzissmus

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Woran erkennt man einen Narzissten? Der amerikanische Sozialpsychologe W. Keith Campbell beschreibt die wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale von Narzissten. Aber Narzisst ist nicht gleich Narzisst. Campbell unterscheidet zwei Grundformen des Narzissmus. Daneben nennt er weitere Formen des Narzissmus. Schließlich erklärt er, ab wann der Narzissmus krankhaft wird.

Zwei Arten von Narzissmus

Narzissmus ist zunächst einmal ein Persönlichkeitsmerkmal. Persönlichkeitsmerkmale umfassen die Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen einer Person, die über die Zeit hinweg und in verschiedenen Situationen konstant bleiben. So wie sich ein Mensch heute in einer Begegnung verhält (z.B. kontaktfreudig oder eher zurückhaltend), so wird er sich wahrscheinlich auch in sechs Monaten verhalten. Wenn sich ein Mensch in einer bestimmten Situation auf eine bestimmte Art und Weise verhält (z.B. als zuverlässiger Teamplayer), so wird er sich aufgrund seiner Persönlichkeit in einer anderen Situation ähnlich verhalten.

Was den Narzissmus betrifft, so muss man zwischen zwei Formen von Narzissmus unterscheiden. Meistens ist vom grandiosen Narzissmus die Rede. Dabei geht es um auffallende, ausdrucksstarke Menschen, die betont egozentrisch sind, ein Gefühl der Überlegenheit haben, aber auch durchsetzungsfähig sind und oft als charismatisch wahrgenommen werden. Diese Art der Grandiosität findet sich bei Ihrem klassischen Ex-Freund, bei Politikern und bei Prominenten. Grandiose Narzissten suchen stets nach Gelegenheiten, um vor anderen zu glänzen.

Daneben gibt es den verletzlichen Narzissmus, über den weniger gesprochen wird. Hier ist eine gewisse Feindseligkeit typisch. Der Neid auf andere kommt beim verletzlichen Narzissmus viel stärker zum Vorschein. Verletzliche Narzissten sind auch neurotischer, das heißt, sie sind emotional labiler und wirken eher depressiv oder ängstlich. Sie sind in der Regel auch etwas weniger gesprächig oder nach außen gerichtet.

Verletzliche Narzissten sind eher passiv und nehmen eine defensive Haltung ein. Sie sind dünnhäutig und haben Angst vor Kritik. Wenn man sie dann kennenlernt, merkt man, dass sie sich wie die grandiosen Narzissten eher um sich selbst drehen.

Emotionale Instabilität (auch Neurotizismus genannt) ist also der wesentliche Unterschied zwischen grandiosem und verletzlichem Narzissmus. Der Hauptunterschied zwischen diesen beiden narzisstischen Prägungen ist also, dass die einen zu Gesprächigkeit und die anderen zu Meidung von Kontakt tendieren. Zu diesem Schluss kam William Keith Campbell nach zwanzig Jahren Forschung.

In der Vergangenheit sind den klinischen Psychologen häufiger die verletzlichen Narzissten aufgefallen. Im Gegensatz dazu untersuchten Sozialpsychologen vorwiegend den Narzissmus in der Welt der Führungskräfte oder unter Kriminellen, wo Grandiosität häufiger ist. Campbell ist es gelungen, die beiden Theorien des Narzissmus zu verbinden.

Ab wann ist Narzissmus eine Störung?

Narzissmus muss nicht unbedingt ein Problem sein. Psychologen sprechen erst dann von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, wenn eine Person zu extremen und unflexiblen Zügen neigt. Auch die krankhaften, also psychopathischen Narzissten lassen sich in eher grandiose und eher verletzliche Typen einteilen. Hier gibt es auf der einen Seite den Typus des unerbittlichen, gewissenlosen und räuberischen Narzissten mit hoher emotionaler Stabilität. Auf der anderen Seite gibt es dann jene Narzissten, die emotional weniger stabil sind. Letztere werden eher zu Depression und Angst neigen, sich als Opfer darstellen und ihr Leiden als Mittel zur Manipulation von Menschen einsetzen.

Campbell erklärt, dass es in Ordnung sei, wenn ein Mensch auf der Bühne narzisstisch ist. Aber wenn er sich zu Hause bei seinen Kindern und seinem Partner narzisstisch verhält, wird das über kurz oder lang zu Problemen führen. Wenn die Persönlichkeit also verkrustet, dann beeinträchtigt das die Beziehungen. Narzissmus wird dann zum Problem, wenn man große finanzielle Risiken eingeht oder zu egozentrisch ist, um aus seinen Fehlern zu lernen.

Das ist der Punkt, wo man dann beginnt, über eine Persönlichkeitsstörung zu sprechen. Es ist der extreme Narzissmus. Manchmal gibt es ein Trauma aus der Kindheit, das die narzisstische Störung noch zusätzlich verfestigt.

Andere Formen von Narzissmus

Dann gibt es noch andere Formen von Narzissmus, z. B. den sogenannten kommunalen Narzissmus. Kommunale Narzissten haben ein ausgeprägtes Gefühl der Überlegenheit in sozialen Beziehungen. Das sind jene Menschen, die sich als der beste Freund aller Zeiten inszenieren. Oder sie geben sich als moralischer und daher besser als alle anderen, wie etwa Klimafanatiker.

Eine weitere besondere Form ist der bösartige Narzissmus. Das ist narzisstisches Verhalten, gemischt mit sadistischen und pathologischen Aspekten. Typischerweise ist es die Kombination aus unangenehmer, kontaktfreudiger Persönlichkeit und einem Verhalten, das darauf zielt, positive Aufmerksamkeit, Status und Macht zu erlangen und negative Aufmerksamkeit zu vermeiden. Raphael Bonelli spricht in diesem Zusammenhang von radikaler„Selbstaufwertung und Fremdabwertung“.

Der pathologisch narzisstische Typus ist ein Gefangener seiner eigenen Bauchgefühle. Er verhält sich hedonistisch. Das heißt, er will ständig sein Gefühl der Lust maximieren und strebt nach kurzfristiger Befriedigung. Dieses Verhalten entspricht dem eines typischen Zwei-Jährigen. Auf die Dauer macht Hedonismus aber nicht glücklich, sondern führt dazu, dass man sein Leben und das Leben seiner Mitmenschen ruiniert.

Es ist zu bedenken, dass jeder Mensch zu einem bestimmten Grad narzisstische Anteile in der eigenen Persönlichkeit hat. Daher ist es wichtig, das Feedback seiner Mitmenschen zu berücksichtigen und regelmäßig Selbstreflexion zu üben. So halten Sie Ihren Narzissmus im Griff.

Bildquellen
RPP/ https://www.canva.com/
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