Sie wollen Unsterblichkeit: Die neuen Alchemisten

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Seit Beginn der industriellen Revolution benutzen wir Technologien, die die Grenzen unserer Möglichkeiten immer wieder übertreffen. Das Auto hat unsere Bewegungsfreiheit erweitert, die Elektrotechnik unsere Produktivität gesteigert und das Internet unseren Lebenskomfort erhöht. Man könnte Tausende von Beispielen anführen, wie technischer Fortschritt unsere Grenzen gesprengt und das Leben radikal verbessert hat.

Die Transhumanisten möchten einen Schritt weiter gehen. Der Mensch an sich soll völlig neu gedacht werden. Die Grenzen seines eigenen Körpers sollen mittels Gentechnik, Biochemie und Hightech überschritten werden. Aber sind wir wirklich bereit für den Menschen 2.0?

Das Versprechen: Vom Tier zum Gott

Keiner vermittelt die Ziele des Transhumanismus so geschickt wie der israelische Zukunftsforscher Yuval Noah Harari. Der Mensch soll mit technischer Hilfe „optimiert“ werden. Der Transhumanismus werde somit den nächsten Schritt der Evolution einleiten.

Auffällig ist eine seltsame Spannung im transhumanistischen Menschenbild. Zum einen spricht Harari von Menschen als “programmierbare Tiere” (wörtlich: „hackable animals“). Zum anderen glaubt er an die Möglichkeit eines “Updates” des Menschen, der ihn zu einem „Gott“ machen werde. So schreibt er in seinem Buch Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen:

„Und nachdem wir die Menschheit über die animalische Ebene des Überlebenskampfes hinausgehoben haben, werden wir nun danach streben, Menschen in Götter zu verwandeln und aus dem Homo sapiens den Homo Deus zu machen.”

Yuval Noah Harari, Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen. 2017. München: C. H. Beck.

In Hararis Weltbild ist also ein Gott nichts anderes als ein technologisch aufgerüstetes Tier.

Die Konsequenz: Unsterbliche und Nutzlose

Götter leben ewig. Wie die alten Alchemisten streben die Transhumanisten nach dem ewigen Leben. Der Homo Deus erklärt dem Tod den “totalen Krieg”, denn der Tod verstoße gegen das “Recht auf Leben”. In Hararis Utopie lässt sich das Leben mittels biotechnischer “Upgrades” prinzipiell endlos verlängern.

Sieht man genauer hin wird aber schnell klar: Das Recht auf Leben gilt nicht für alle, sondern nur für jene, die auch dafür bezahlen können. Denn laut Harari würden sich nur die Reichsten die entsprechenden medizinischen Eingriffe wie etwa frische Organe aus dem 3D-Drucker leisten können. Die technokratische Elite werde unsterblich, der Rest der Menschheit habe hingegen langfristig keine Daseinsberechtigung. Harari erklärt freimütig, dass mit dem technischen Fortschritt hundert Millionen Menschen zu einer “nutzlosen Klasse” werden. Diese würden den neuen Machthabern schutzlos ausgeliefert sein.

Letztendliches Ziel der Transhumanisten ist es aber offenbar nicht, die „Nutzlosen“ zu unterjochen, sondern zu beseitigen. Am Ende – so Hararis Vision – sollen nur noch „Cyborgs“, also Halb-Mensch und Halb-Roboter, übrigbleiben. Die alten Griechen hätten diese maßlose Selbstüberschätzung wohl als Hybris bezeichnet.

Fortschritt ohne Kinder?

Transhumanisten glauben an den grenzenlosen technischen Fortschritt. Es sei jedoch der große Fehler unserer Zeit, Fortschritt einfach mit Technologie gleichzusetzen. Diese Meinung vertritt die britische Autorin Mary Harrington in ihrem Buch Feminism Against Progress.

Technologie ist nicht wertneutral. Als Beispiel führt Harrington die sexuelle Revolution an. Die technologisch hoch entwickelte Antibabypille gab uns die Illusion, dass wir traditionelle soziale Normen und den Wert der Monogamie über Bord werfen könnten.

Sex ohne Bindung hatte aber für beide Geschlechter gravierende Folgen: Eine kleine Minderheit von Männern mit hohem Status hatte plötzlich Zugriff auf eine breite Palette ungebundener Frauen. Diese zögerten mithilfe der Pille ihre Mutterschaft hinaus oder verzichteten freiwillig (oder unfreiwillig) gänzlich darauf, eine Familie zu gründen.

Mit der sexuellen Revolution sprengten wir erstmals die Grenzen der menschlichen Biologie. Diese war – so Harrington – die erste transhumanistische Revolution. Seit 70 Jahren leben wir also bereits im transhumanistischen Zeitalter. Doch hat uns die Pille tatsächlich befreit?

Freiheit von Moral = Versklavung

Die Kosten und Nachteile der sexuellen Revolution stehen in keinem Verhältnis zur Freiheit, die sie uns angeblich ermöglicht. Doch ist der Zweck von Technologie wirklich nur der Ausbau von individuellen Freiheiten um jeden Preis? Harrington fordert, den Zweck von Technologie neu auszurichten: Technologie soll nicht die moralische Freizügigkeit ausbauen, sondern dem menschlichen Gemeinwohl dienen.

Unter diesem Gesichtspunkt war die Pille ein Desaster. Sie hat das mentale, körperliche und soziale Wohlbefinden deutlich herabgesetzt. Frauen wurden zu verfügbaren Sex-Objekten degradiert und immer mehr Kinder wachsen ohne Vater auf.

Offenbar sind lästige und anstrengende Sitten, wie etwa Treue, notwendige „Übel“. Aber sie sind keine Einschränkungen oder Grenzen, die mit der richtigen Technologie einfach zu überwinden wären. Vielmehr funktionieren die guten Sitten wie eine Schutzplanke: Sie ermöglichen erst die Entfaltung einer tiefen, aufrichtigen und erfüllenden Beziehung.

Ungezügelte sexuelle Freiheit ist am Ende keine wahre Freiheit, sondern eine Form von Versklavung durch die eigene Lust. Die Überschreitung unserer menschlichen Grenzen im Namen des Fortschritts ist nicht automatisch gut.

Der Wert der Sterblichkeit

Ist der Mensch eine manipulierbare biologische Maschine? Oder hat er eine Würde, die über den materiellen Körper hinausgeht?

Wenn wir die wahre Natur des Menschen erfassen, können wir auch besser entscheiden, welche Technologien unserem Wohlbefinden schaden und welche sie fördern. Technologie, die den Menschen zu überwinden versucht, ohne seiner Natur zu entsprechen, ist am Ende selbstzerstörerisch.

Auch die letzte Grenze des Menschen, der eigene Tod, ist – so wie die Treue – eine zutiefst sinnvolle Einschränkung. Der deutsche Psychiater Thomas Fuchs beschrieb den Wert des Todes treffenderweise so:

“Erst mit dem Bewusstsein des Todes wächst die Wertschätzung des Lebens; nur das ‘Sein-zum-Tode’ gibt dem Leben seinen eigentlichen Ernst. … Der Tod ist noch immer die wirksamste Einschränkung unserer Neigung zur Egozentrik und zum Narzissmus.”

Es gibt wohl keine größeren Narzissten als jene, die Gott spielen wollen – auf Kosten anderer.

Bildquellen
Daniel Juřena from Prague, Czech Republic (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Terminator_in_Madame_Tussaud_London_(33465711484).jpg), „Terminator in Madame Tussaud London (33465711484)“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/legalcode<br />
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